Der riesige rote Drache, der den Anmeldebereich des ECR 2018 beherrschte, machte auf den Fotos der Teilnehmer sicherlich eine gute Figur. Doch was waren die bleibenden Eindrücke und bedeutenden Themen, die man vom diesjährigen Kongress im ausgesprochen frostigen Wien mitnehmen konnte? Unser Redaktionsteam hat eine Liste mit den fünf zentralen Themen zusammengestellt.
1. Die Explosion der künstlichen Intelligenz ist überall spürbar
Das steigende Interesse an künstlicher Intelligenz (KI) für Anwendungen im Bereich der Radiologie widerspiegelnd, bot der ECR 2018 deutlich mehr KI-orientierte Fortbildungsinhalte als bisher. Diejenigen, die ins eisige Wien gereist waren -- oder online aus der Ferne zuschauten -- konnten eine Vielzahl an faszinierenden Vorträgen über allgemeine Themen sowie eine Fülle von Präsentationen zu den neuesten Forschungsentwicklungen verfolgen.
Experten betonten das Potenzial von KI, die Effizienz und Produktivität von Radiologen zu verbessern und es diesen so zu ermöglichen, die zunehmende Arbeitslast zu bewältigen. Durch Übernahme eines Großteils der undankbaren Tätigkeiten und Automatisierung von Routineaufgaben könnte KI Radiologen außerdem so weit entlasten, dass diese sich stärker in die Patientenversorgung einbringen und noch enger mit Klinikern zusammenarbeiten können. Viele der Referenten sind der Meinung, dass das Einnehmen einer bedeutenderen Position im klinischen Versorgungsteam für die Patienten von Vorteil sein und das Fortbestehen der Fachrichtung sichern wird. Anfängliche Bedenken hinsichtlich der düsteren Warnungen, hauptsächlich vonseiten einiger KI-Koryphäen außerhalb des Gesundheitswesens, dass KI Radiologen bald ersetzen könnte, sind größtenteils übergegangen in Begeisterung und gespannte Erwartung angesichts des Potenzials der Technologie, die Radiologie zu verbessern und Radiologen nicht zu ersetzen, sondern vielmehr zu unterstützen und zu stärken.
Es wurde darauf hingewiesen, nicht zu vergessen, dass KI nicht nur für die Bildanalyse geeignet ist. Deep-Learning-Algorithmen können den gesamten Bildgebungsprozess unterstützen, zum Beispiel durch Verkürzung der Untersuchungsdauer, Verringerung der Strahlendosis und die Möglichkeit für optimierte Bildgebungsprotokolle. Eine vollautomatische Bildverarbeitung kann außerdem einen breiteren Einsatz der quantitativen Bildgebung ermöglichen -- einem entscheidenden Instrument für die personalisierte Medizin. KI könnte auch neue Bildgebungsbiomarker aufzeigen, die mit dem menschlichen Auge nicht erkennbar sind.
KI kann eine Vorsortierung bildgebender Untersuchungen vornehmen, um dringende Fälle aufzuzeigen, mit denen die Radiologen sich befassen sollten, und den Radiologen beim Interpretationsprozess Entscheidungshilfen bieten. KI kann außerdem bei der Erkennung und Charakterisierung von Erkrankungen, zum Beispiel bei der Differenzierung von Lungenknoten auf CT-Aufnahmen, unterstützen und zu neuen radiologischen Indikationen, wie beispielsweise der Bestimmung des Schlaganfallbeginns oder der Vorhersage des Patientenüberlebens, führen.
„Ich bin davon überzeugt, dass KI keine Bedrohung, sondern vielmehr ein Instrument darstellt, das wir nutzen können, um unsere Arbeit zu unterstützen und die Ergebnisse zu verbessern“, so der Präsident des ECR 2018, Dr. Bernd Hamm, in seiner an die Teilnehmer gerichteten Begrüßung. „Der Beruf des Radiologen hat sich in der Vergangenheit kontinuierlich verändert und das wird auch künftig so bleiben. Die Menge an Daten, mit der wir es zu tun haben, nimmt stetig zu. KI wird uns dabei helfen, diese Arbeitslast zu bewältigen und die Daten in unserer täglichen Routine optimal zu nutzen.“
Es bleiben jedoch weiterhin große Herausforderungen bestehen. Der mangelnde Zugang zu großen, zuverlässigen Datensätzen für Trainingsalgorithmen stellt nach wie vor das vordringliche Problem dar; weitere schwierige Themen sind beispielsweise der „Blackbox“-Charakter vieler Deep-Learning-Algorithmen und das Fehlen eines ökosystems zur Unterstützung der Entwicklung, Integration und Anwendung von KI-Algorithmen. Die Algorithmen müssen außerdem in die radiologischen Arbeitsabläufe integriert und getestet werden, um sicherzustellen, dass sie in unterschiedlichen Krankenhäusern sowie bei Aufnahmen von Geräten unterschiedlicher Anbieter effektiv sind.
Es muss noch viel getan werden, bevor KI regelmäßig in der klinischen Routine von Radiologen eingesetzt werden kann, doch ist jetzt für Radiologen die Zeit gekommen, sich damit auseinanderzusetzen und darauf einzustellen. Verschiedene Referenten unterstrichen die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit der KI-Gemeinschaft, um diese bei der Entwicklung und Validierung dieser Algorithmen zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Technologie auf die besten Anwendungsfälle zur Verbesserung der Arbeitsläufe ausgerichtet wird.
Eines steht fest: Die neue ära der KI bedeutet für Radiologen nicht länger „Business as usual“. Wie mehrere Referenten beim ECR 2018 anmerkten, wird der Radiologe, der KI einsetzt, über kurz oder lang wohl den Radiologen ersetzen, der dies nicht tut.
2. Radiologen stehen an der Spitze der Veränderung
Das Thema KI zog sich durch das gesamte Meeting. Bei nahezu allen Vorträgen über Brustuntersuchungen, selbst denjenigen zu anderen Themen als KI, kam dieses Thema doch zur Sprache, meist in Form eines beiläufigen Kommentars. Radiologen stellten immer wieder die Frage: „Werden wir durch Roboter ersetzt?“, was die sich derzeit abzeichnende Angst vor der neuen Technologie widerspiegelt. Die Antwort war ein klares „Nein“.
„Wir werden nicht ersetzt“, sagte Dr. Elizabeth Morris, frühere Präsidentin der Society of Breast Imaging und Brustradiologin am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York City. „KI wird uns dabei helfen, diese Biomarker einzusetzen, um besser zu sein, Vorhersagen treffen und unseren Patienten genauere Prognosen bieten zu können.“
Die von ihr erwähnten Biomarker umfassen alles, was im Körper oder in den Produkten des Körpers gemessen werden kann -- zum Beispiel die Kontrastverstärkung des Parenchymhintergrunds (Background Parenchymal Enhancement). Die Rolle der Radiologen bei der Verwendung dieser Biomarker, die in den Bereich der Genomik -- in anderen Worten: die genetische Sequenzierung -- übergeht, ist einer der Gründe, aus denen Radiologen auch künftig nicht einfach ersetzbar sein werden. Morris sprach von „einer der revolutionärsten Phasen in der Medizin“ und fügte hinzu, dass wir uns in einer „genomischen Revolution“ befinden, in der wir die Genominformationen in Gewebe und Blut sequenzieren können. Die Informationen liefern Radiologen Hinweise darauf, bei welchen Personen ein hohes Risiko für bestimmte Erkrankungen besteht und welche Behandlung bei bestimmten Tumoren erforderlich ist. Tumore unterscheiden sich genetisch häufig voneinander -- einige weisen viel Heterogenität auf, andere wiederum nicht.
„Dieses Konzept der intratumoralen Heterogenität wurde nicht wirklich verstanden, bis wir in der Lage waren, sämtliche genetischen Informationen in den Tumoren zu sequenzieren“, so Morris. „Weshalb spielt das eine Rolle? Viele der Therapien, die wir derzeit bei Krebs einsetzen, sind möglicherweise unzulänglich und wir behandeln womöglich die falsche genetische Anomalie.“ Krebszellen seien klug und passten sich schnell an, sodass Präparate, die zuvor wirksam waren, nicht mehr ausreichen, so Morris weiter.
Radiologen müssen nicht nur aus genetischer, sondern auch aus therapeutischer Sicht verstehen, was passiert; dies wird ihnen helfen, die Aufnahmen besser zu interpretieren. Es wird außerdem dazu beitragen, dass Radiologen in Bezug auf die Angabe von Informationen zum gesamten Behandlungsverlauf eine relevantere Rolle zukommt.
„Wenn man sich vorstellt, was in den nächsten 20 Jahren unsere Wirtschaft antreiben wird, dann steht vieles davon in Zusammenhang mit Big Data, Genomik, Internetsicherheit und digitalen Währungen, und genau in diesem Umfeld werden wir als Radiologen tätig sein“, so Morris. „Es ist sehr wichtig, dass wir die Terminologie verstehen, da sich unsere Fachrichtung rasant in diese Richtung entwickelt. Von allen Gebieten der Medizin werden wir wahrscheinlich an der Spitze dieser Veränderung stehen.“
3. Die Gadolinium-Kontroverse besteht weiterhin
Wenige Tage nach dem ECR 2017 empfahl die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) aufgrund von Bedenken hinsichtlich des Verbleibs von Gadolinium im Körper auch Jahre nach einer Untersuchung, vier gadoliniumbasierte Kontrastmittel (GBCA) für MRT-Aufnahmen vom Markt zu nehmen. Zu den betroffenen Kontrastmitteln zählten einige der in der medizinischen Bildgebung am häufigsten eingesetzten Kontrastmittel. Beim ECR 2018 wurde jedoch deutlich, dass die Angelegenheit noch nicht geklärt ist.
Die U.S. Food and Drug Administration vertritt in Bezug auf die Sicherheit von GBCA eine ganz andere Sichtweise und es gibt bisher keine Anzeichen für einen Konsens zwischen der amerikanischen und der europäischen Regulierungsbehörde, so Dr. Alexander Radbruch in einem Videointerview im Rahmen des ECR 2018. Radbruch, der sowohl Radiologe als auch Jurist ist, hofft inständig, dass es in Europa nicht zu Anklagen nach amerikanischem Vorbild kommen wird. Angesichts der sehr guten Organisation einiger globaler Patientengruppen kann dieses Szenario jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Derzeit laufen zwar viele Studien zur Gadoliniumretention, bis zur Veröffentlichung von verlässlichen Sicherheitsdaten könnten jedoch 10 oder mehr Jahre ins Land gehen. Bis dahin wird nichts schnell gelöst werden können, und Radiologen werden ihre Patienten beruhigen und ihre Fragen so gut wie möglich beantworten müssen. Radbruch berichtet, dass einige Patienten in seinen Einrichtungen in Heidelberg und Essen MR-Untersuchungen aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt haben. Dies wird wohl auch künftig zunehmend vorkommen.
4. MRT ohne Gadolinium wird möglich
Angesichts der Bedenken im Zusammenhang mit GBCA untersuchen immer mehr Forscher die diagnostische Qualität von Aufnahmen ohne Kontrastmittel. In verschiedenen Präsentationen beim ECR 2018 wurde gezeigt und infolgedessen empfohlen, dass Kliniker bei bestimmten Kontroll-MRTs erwägen sollten, auf die Verwendung eines GBCA zu verzichten, wenn bereits eine Primärdiagnose gestellt wurde. Die potenziellen klinischen Anwendungen reichen von Brust, Kopf und Hals bis zum Innenohr sowie einigen pädiatrischen Untersuchungen.
Auch wenn die MRT als eine sehr ausgereifte Bildgebungstechnologie betrachtet werden kann, finden Forscher immer wieder Möglichkeiten, die Modalität weiter zu verbessern. Italienische Forscher stellten eine neue Art von diffusionsgewichteter Bildgebung für die Mamma-MRT vor. Mit dem Verfahren „field-of-view optimized and constrained undistorted single-shot“ (FOCUS) konnten bis zu 85 % der verdächtigen Mammaläsionen identifiziert werden. Beschleunigte MRT-Verfahren ermöglichen nun außerdem Untersuchungszeiten von 10 Minuten für die abdominale Bildgebung.
Mit Anwendungen für leichte kognitive Beeinträchtigungen, Demenz und Alzheimer erweitert sich der Nutzen der MRT im Bereich der Neurologie. Eine von der European Society of Neuroradiology (ESNR) durchgeführte kontinentweite Studie ergab jedoch, dass unter Klinikern noch Verbesserungspotenzial besteht. Die Umfrage ergab, dass sich viele Neuroradiologen hinsichtlich der Verwendung fortschrittlicher Bildgebungsverfahren, strukturierter Berichte oder visueller Bewertungsskalen zur Diagnose von neurologischen Störungen unwohl fühlen, teilweise, weil sie die Instrumente als zeitaufwändig wahrnehmen oder diese einfach nicht zur Verfügung stehen.
Den zunehmenden Einfluss von KI im Bereich der MRT widerspiegelnd, hilft eine von dänischen Radiologen entwickelte neue App pädiatrischen Patienten zwischen 4 und 9 Jahren, besser mit ihren Untersuchungen zurechtzukommen. Die App kommuniziert mit den Kindern auf deren kognitiver Ebene und bereitet sie auf die bevorstehende Erfahrung vor.
5. Der Brexit als unterschwelliges Problemthema
Es ist schon paradox, dass das Datum des geplanten Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) -- März 2019 -- mit dem ECR 2019 zusammenfallen wird.
Der Brexit war im wissenschaftlichen Programm des ECR 2018 zwar kaum Thema, es war jedoch bezeichnend, dass Hamm in seiner an die Teilnehmer gerichteten Begrüßung auf der Titelseite der Mittwochsausgabe von ECR Today, der von der European Society of Radiology (ESR) herausgegebenen täglichen Kongresszeitung, über das Thema reflektierte.
„In Anbetracht der Entscheidung des Vereinigten Königreichs, die EU zu verlassen, müssen wir zugeben, dass sich dies ganz bestimmt auf Europa und die europäische Gemeinschaft auswirken wird“, schrieb er. „Das ist sehr bedauerlich, doch die ESR und die wissenschaftliche Gemeinschaft gehen über die Politik hinaus und wir werden auch weiterhin die internationale Zusammenarbeit und internationale Beziehungen stärken und weiterentwickeln. Der Brexit stellt für die ESR keine Bedrohung, sondern vielmehr eine Chance dar, zu zeigen, dass die Wissenschaft keine Grenzen kennt.“
Hamms Rat lautet, Ruhe zu bewahren und einfach weiterzumachen, doch wird dies in den kommenden Jahren nicht so einfach sein. London hat bereits die Europäische Arzneimittel-Agentur an Amsterdam verloren und britische Forscher werden den Verlust der EU-Mittel deutlich zu spüren bekommen. Einige seiner besten wissenschaftlichen Köpfe wird das Land wohl an Nordamerika und Australien verlieren -- und das wird letztlich Europas Verlust sein.
In einem Videointerview im Rahmen des ECR 2018 räumte Dr. Nicola Strickland, Präsidentin des Royal College of Radiologists, ein starkes Risiko ein, dass die britische Radiologie innerhalb der ESR an den Rand gedrängt wird, wenn das Land nicht mehr als „wirklich europäisch“ angesehen wird. Das ist keinesfalls eine Übertreibung. Strickland ist zweifellos eine der klarsten Denkerinnen und ausgeglichensten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Radiologie.
Das Vereinigte Königreich hat mehr als zwei Jahrzehnte lang einen wichtigen und aktiven Beitrag zum ECR und zur ESR geleistet, zum Beispiel in Bezug auf Kongressteilnehmer, Referenten und Moderatoren sowie leitende Amtsträger wie die Dres. Andy Adam, Helen Carty und Iain McCall. Die Zukunftsaussicht der Ausgrenzung des Landes scheint jedoch sehr real. Im Moment kann man nur raten, ob es nach dem Brexit noch einmal einen britischen ESR-Präsidenten geben wird.
Bis zum Beginn des ECR 2019 wird sich die Brexit-Situation deutlicher abzeichnen, in der Zwischenzeit bleiben jedoch viele Fragen. Welche Garantien können EU-Bürgern, die im Vereinigten Königreich arbeiten, gegeben werden? Wird das European Diploma in Radiology anerkannt werden? Wird das Vereinigte Königreich die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) verlassen und damit die künftige Versorgung mit Radioisotopen riskieren und Patienten gefährden?
Das Thema Brexit wird wohl noch viele Jahre lang im Raum stehen.